
Ernährung bei der Tour de France: Wissenschaft trifft Praxis

Die Tour de France gilt als eines der härtesten Ausdauer-Events der Welt — über drei Wochen fahren die Profis täglich Hunderte Kilometer und überwinden dabei immense Höhenmeter. Um diese extremen Belastungen zu bewältigen, spielt eine präzise abgestimmte Ernährung eine zentrale Rolle. Moderne Erkenntnisse und jahrzehntelange Praxis zeigen, wie wichtig dabei vor allem Kohlenhydrate, Flüssigkeit und eine schnelle Regeneration sind.
Die Tour de France gilt nicht nur als eines der härtesten Radrennen der Welt, sondern auch als eines der größten ernährungsphysiologischen Experimente im Spitzensport. Über drei Wochen kämpfen sich die Fahrer durch bis zu 3.500 Kilometer, bezwingen steile Alpen- undPyrenäenpässe und verbrennen dabei täglich unfassbare Energiemengen. Ohne eine präzise abgestimmte Ernährungsstrategie wäre diese Leistung schlichtweg nichtmöglich. Doch was genau essen und trinken die Profis eigentlich – und warum?
Enorme Energieverbräuche: Biszu 10.000 kcal pro Tag
Bereits eine klassische Untersuchung von Saris et al. (1989), die mit dem Goldstandard-Verfahren„doubly labelled water“ durchgeführt wurde, zeigte eindrucksvoll: Ein Fahrer der Tour de France verbrauchte damals im Schnitt etwa 6.000 kcal pro Tag (≈25MJ) und nahm nahezu genauso viel Energie wieder auf. Neuere Studien und Team-Analysen legen nahe, dass dieser Wert heute oft noch übertroffen wird. Grund dafür sind unter anderem höhere Durchschnittsgeschwindigkeiten, aggressivere Renntaktiken und eine nochmals gesteigerte Kohlenhydratzufuhr.
So ermittelten Plasqui et al.(2019) beim Giro d’Italia ähnliche Belastungen von rund 7.000–8.000 kcal proTag, und bei besonders schweren Bergetappen können es sogar bis zu 9.000–10.000kcal sein. Besonders bei sogenannten Königsetappen mit langen Alpenpässenexplodiert der Energieverbrauch regelrecht.
Die Konsequenz: Fahrer müssentäglich Mengen essen, die dem Kalorienbedarf von vier bis fünf normal aktiven Erwachsenen entsprechen – eine gewaltige logistische und gastrointestinale Herausforderung.
Kohlenhydrate: Treibstoff imDauereinsatz
Etwa 60–80 % der Energiezufuhr bei der Tour de France stammt aus Kohlenhydraten. Das entspricht teils mehr als 1.000 g Kohlenhydrate pro Tag, also gut 8–13 g pro Kilogramm Körpergewicht –Mengen, die sonst allenfalls bei Ultramarathonläufern oder Triathleten erreicht werden.
Während der Etappen liegt die Kohlenhydratzufuhr inzwischen oft bei 80–120 g pro Stunde. Bei manchen Ausreißern wie Victor Campenaerts wurden sogar Spitzenwerte von bis zu 140–150 g/h dokumentiert. Diese extrem hohen Aufnahmeraten sind nur möglich, weil Profis ihren Darm regelrecht „trainieren“, um solch große Mengen aufnehmen und verwerten zu können. Im Fachjargon spricht man von „gut training“. Studien zeigen, dass eine langfristig erhöhte Kohlenhydratzufuhr die intestinale Aufnahmefähigkeit steigern kann – ein entscheidender Vorteil bei mehrstündigen Belastungen.
Trinken bis zum Limit: Flüssigkeit und Elektrolyte
Bei Temperaturen von teils über 30 °C und hoher Belastung verlieren Fahrer durch Schweiß rund 1–2 L pro Stunde. Über den gesamten Tag summiert sich das leicht auf 6–12 L Flüssigkeitsbedarf. Daher wird nicht nur permanent Wasser getrunken, sondern auch auf isotonische Getränke zurückgegriffen, um den Verlust von Natrium, Kalium und anderen Elektrolyten auszugleichen. Würden diese nicht ersetzt, drohten Krämpfe, Leistungsabfall oder gar Kreislaufprobleme.
Typischer Tagesablauf: Essen, essen, essen
Carb Loading am Morgen:
Der Tag startet meist mit einem gigantischen Frühstück aus Pasta, Reis, Haferbrei, Brot und Obst. Oft werden hier bereits 1.000–1.500 kcal aufgenommen, um die Glykogenspeicher bestmöglich gefüllt zu halten. Diese Speicher liefern den wichtigsten Treibstoff für die langen Etappen.
Während der Etappe:
Etwa alle 20–30 Minuten gibt es kleine Mahlzeiten: Riegel, Gels, Sandwiches, Reiskuchen, Kuchenstücke – alles möglichst leicht verdaulich und kohlenhydratreich. Parallel trinken die Fahrer alle 10–15 Minuten ein paar Schlucke Flüssigkeit, häufig aus speziellen Flaschen mit Kohlenhydrat-Elektrolyt-Lösungen.
Nach der Etappe:
Kaum im Ziel, wartet oft direkt ein Recovery-Shake mit Kohlenhydraten und Eiweiß, um Muskelregeneration und Glykogenauffüllung sofort anzustoßen. Abends folgt dann eine große Mahlzeit mit Nudeln, Reis, Gemüse, magerem Fleisch oder Fisch. Dabei achten Teams darauf, dass das Essen nicht nur funktional ist, sondern auch Abwechslung bietet, um„Geschmacksmüdigkeit“ zu verhindern. Suppen, Snacks und sogar Desserts stehen daher regelmäßig auf dem Speiseplan.
Kleine Helfer aus der Forschung: Sauerkirschsaft & Co.
Viele Teams setzen außerdem auf funktionelle Lebensmittel. Sauerkirschsaft (Montmorency tart cherry juice) ist hier ein beliebtes Beispiel: Studien zeigen, dass er Muskelkater und Entzündungsmarker nach intensiven Belastungen reduzieren und die Erholung etwas beschleunigen kann. Außerdem enthält er natürliche Melatonin-Vorstufen, was sich positiv auf den Schlaf auswirken könnte – ein oft unterschätzter Faktor in einer dreiwöchigen Rundfahrt.
Fazit: Tour de France ist auch eine Tour de Nutrition
Die Tour de France ist sportlich eine der größten Herausforderungen, die der menschliche Körper bewältigen kann. Doch ohne ausgeklügelte Ernährungsstrategien wäre sie schlicht unmöglich. Was bei Hobbyradsportlern oft ein kleines Gelsäckchen in der Trikottasche ist, wird hier zur hochprofessionellen Wissenschaft mit detaillierten Plänen für jede Etappe. Sie zeigt, wozu der Körper – richtig vorbereitet und versorgt –tatsächlich imstande ist.
Quellen:
Saris WH, van Erp-Baart MA, Brouns F,Westerterp KR, ten Hoor F. Study on food intake and energy expenditure duringextreme sustained exercise: the Tour de France. Int J Sports Med. 1989 May;10Suppl 1:S26-31. doi: 10.1055/s-2007-1024951. PMID: 2744926.
Plasqui G, Rietjens G, Lambriks L, Wouters L,Saris WHM. Energy Expenditure during Extreme Endurance Exercise: The Girod'Italia. Med Sci Sports Exerc. 2019 Mar;51(3):568-574. doi:10.1249/MSS.0000000000001814. PMID: 30363009.
Kuehl KS, Perrier ET, Elliot DL, Chesnutt JC. Efficacy of tart cherry juice inreducing muscle pain during running: a randomized controlled trial. J Int SocSports Nutr. 2010 May 7;7:17. doi: 10.1186/1550-2783-7-17. PMID: 20459662;PMCID: PMC2874510.
Levers, K., Dalton, R., Galvan, E. et al.Effects of powdered Montmorency tart cherry supplementation on an acute bout ofintense lower body strength exercise in resistance trained males. J Int SocSports Nutr 12, 41 (2015).
Howatson G,Bell PG, Tallent J, Middleton B, McHugh MP, Ellis J. Effect of tart cherryjuice (Prunus cerasus) on melatonin levels and enhanced sleep quality. EurJ Nutr. 2012 Dec;51(8):909-16. doi: 10.1007/s00394-011-0263-7. Epub 2011 Oct30. PMID: 22038497.
https://www.mysportscience.com/post/2015/07/08/energy-intake-during-the-tour-de-france (letzter Zugriff: 24.7.25)
https://road.cc/content/feature/how-do-tour-de-france-riders-fuel-their-race-309489 (letzter Zugriff: 24.7.25)
https://theconversation.com/eat-me-drink-me-fuelling-riders-in-the-tour-de-france-14856 (letzter Zugriff: 24.7.25)
https://www.gq.com/story/tour-de-france-food-fitness-tejay-van (letzter Zugriff: 24.7.25)
https://www.thesun.co.uk/sport/32366548/tour-de-france-diet-cycling-victor-campenaerts/ (letzter Zugriff: 24.7.25)